April 1997, Oslo: Die Zeitungen des Landes verkünden die Aufdeckung eines finsteren Plans fortschrittliche Politiker und religiöse Führer in Norwegen zu ermorden. Die Missetäter, im Besitz von Waffen und bedeutenden Geldsummen, planten angeblich über die Morde hinaus noch weitere Aktionen. Ihre Pläne sahen auch die Befreiung eines inhaftierten Kameraden vor, den sie ins Ausland bringen wollten. Ist dieser Insasse ein extremer Nationalist mit einer vergleichbar langen Liste an subversiven politischen Vergehen, wie sie selbst? Nicht ganz. Es handelt sich um den 24jährigen Varg Vikernes, den berüchtigtsten Black Metal-Musiker der Welt.
Der Pfad, der von der Welt der Popmusik zu der des politischen Terrorismus führt, windet sich in Schlangenlinien. Es ist zwar nicht das erste Mal, daß Rock ’n’ Roll revolutionäre Züge annimmt, aber dies dürfte als der bislang fanatischste und unnachgiebigste Ausbruch gelten. Bei genauerem Hinsehen ist die Verschwörung zur Befreiung von Varg Vikernes die jüngste Entwicklung in einer der bizarrsten und greulichsten Sagas der Musikgeschichte. Bis heute ist sie noch weitgehend ungeschrieben...
So leiten Michael Moynihan und Didrik Soderlind LORDS OF CHAOS ein. Im Folgenden bieten sie eine Übersicht über die satanische Musik im 20. Jahrhundert, die im Black Metal ihre hässlichste Fratze offenbarte. Nachdem der Schwenk auf die norwegische Szene erfolgt ist, beschäftigen sich die Autoren mit den führenden Persönlichkeiten des Black Metal, darunter Euronymous der Gründer von Mayhem und Inhaber des berüchtigten Plattenladens Helvete (Hölle), dem ehemaligen Sänger von Mayhem, Dead, der sich seinem Gehirn mittels einer Schrotflinte entledigte, Bard „Faust“ Eithun, der eines nachts aus heiterem Himmel einen unbekannten Homosexuellen erstach und schließlich Varg Vikernes alias Count Grishnackh, Brandstifter etlicher Kirchen und Mörder von Euronymous. Alle sagenumwobenen Gerüchte, die sich um Bands wie Mayhem und Burzum ranken, werden von den Autoren nicht bloß wiedergegeben, sondern auf ihre Glaubwürdigkeit hin befragt. Es stellt sich heraus, dass manche Szenegrößen gar nicht so „böse“ waren, wie sie vorgaben, andere ließen ihren Worten Taten folgen, um keine Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen zu lassen.
Der symbolische Akt des Kirchenverbrennens wird von den Autoren sehr genau untersucht. Neben den Reaktionen der Presse finden sich Interviews mit den Tätern und Opfern sowie außenstehenden Religionswissenschaftlern, die teilweise unerwartete Einsichten zu den Brandstiftungen eröffnen. In einem theoretisch angehauchten Kapitel erforschen die Autoren in Anlehnung an C. G. Jungs Psychologie des kollektiven Unbewussten, die Gründe für die Naturverfallenheit der Black Metal-Szene. Es werden Fragen diskutiert, wie: Woher stammt die Faszination für Feuer? Welche unbewussten Gefühle ruft Feuer hervor? Stehen das Tragen von Corpsepaint und die Verwendung von Pseudonymen in der Tradition volkstümlicher Bräuche?
LORDS OF CHAOS wird beschlossen mit der Untersuchung von nationalistischen Strömungen innerhalb der Black Metal-Szene. Die Autoren beschäftigt, inwieweit einige Bands, die ihre Abkehr vom Satanismus mit nordischer Mythologie kompensierten, durch den Stolz auf ihre Urväter für nationalistisches und faschistisches Gedankengut anfällig wurden.
In ausführlichen Interviews gehen die Autoren den unterschiedlichsten Konstruktionen von Wirklichkeit nach, so dass der Leser nach der Lektüre gezwungen ist seinen eigenen Standpunkt zu finden. Die Autoren sind bemüht Betrachtungen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln einzufangen. LORDS OF CHAOS beinhaltet Interviews von Anton Szandor Lavey, dem Hohepriester der Church of Satan, Theologen, Soziologen, Polizisten, Journalisten, Labelmanagern und den Tätern selber. Die Radikalität einiger Aussagen spiegelt das Innenleben von jungen Mendchen wider, die im Black Metal wesentlich mehr erkannten als nur eine musikalische Ausdrucksform.
Die deutsche Ausgabe von LORDS OF CHAOS wurde von den Autoren an entscheidenden Stellen ergänzt. Das Kapitel, das die Geschehnisse in Deutschland behandelt, wurde zum Beispiel komplett neu überarbeitet. Ebenfalls beträchtlich erweitert wurde der Interview- und Fototeil, so dass die deutsche Ausgabe von LORDS OF CHAOS beinahe 400 Seiten umfasst.
Fest steht, dass LORDS OF CHAOS die einzig fundierte Studie zu den Hintergründen des radikalen Black Metal darstellt, da sie glaubhafte Innenansichten der Befragten liefert und die kundigen Autoren gleichzeitig aufzeigen, wie man sich weder im Netz fragwürdiger Ansichten verfängt, noch dem Herbeten von Vorurteilen verfällt. Das alles macht LORDS OF CHAOS zu keinem Buch mit einfachen Antworten, dafür jedoch zu einer spannenden Darstellung einer extremen Subkultur. Indem die Autoren die unterschiedlichsten Facetten einer Untergrund-Szene auffächern, nennen sie zugleich die Struktur ähnlich „unsichtbarer“ Gruppierungen beim Namen. Aus diesem Grund wendet sich LORDS OF CHAOS auch an Leser, die von Black Metal noch nie etwas gehört haben!